Der EU-Ratsvorsitz Österreichs legt den Schwerpunkt auf „ein Europa, das schützt“. Was das heißt – und wohin die rot-weiß-rote Reise in die Welt derzeit geht, analysiert Thomas Roithner.
Mit 1. Juli hat Österreich für ein halbes Jahr den EU-Ratsvorsitz inne. Wie lässt sich die jüngere österreichische Außenpolitik kategorisieren und einordnen? Denkt man an die Schlagworte und Bilder, die in Verbindung damit verwendet werden, dann landet man schnell bei Bauwerken: Brücken, die gebaut werden; Begegnungsplätze, die zeitgemäß verschönert werden; aber vermehrt auch Zäune und Gartenhecken. „Ein Europa, das schützt“, ist das Motto des Vorsitzes Österreichs im Rat der Europäischen Union.
Ein aktueller tonangebender Ansatz, geprägt von dem Dauerbrenner Migration, rückt das nationale Sicherheitsinteresse – übrigens nicht nur in Österreich – ins Zentrum. Die Instrumente: Armee, Geheimdienst, Bewaffnung, Mauern und Abschreckung, gerne wenn nötig auch ohne Partner.
Diese außenpolitische Mixtur ist beileibe keine Erfindung der neuen schwarzblauen Regierung, und lässt sich in ihren Konturen bereits bei Niccolò Machiavelli nachlesen. Die heutige „Versicherheitlichung“ erklärt Probleme als besondere Gefährdungen, die Maßnahmen außerhalb des gewohnten Instrumentenkastens erfordern.
Gleichzeitig betont Außenministerin Karin Kneissl eine „regelbasierte Ordnung“ als Denkansatz. Die EU-Globalstrategie oder die UNO sind dabei die Referenzpunkte.
„Kein Staat“, so das Regierungsprogramm, „kann die aktuellen Krisen und Konflikte der Welt allein lösen.“
Im Gegenteil: Gemäß dem Regierungsprogramm soll Österreich ein „aktiver Ort des Dialogs sein und eine Entspannungspolitik zwischen dem Westen und Russland vorantreiben“.
In den vergangenen Jahren fanden hierzulande die Verhandlungen des Atomabkommens mit dem Iran statt, und Gespräche zu Syrien, Libyen oder zur Ukraine wurden organisiert.
Brückenbau-Probleme. Doch der Weg vom Verhandlungsort und Gastgeber zum Brückenbauer und Vermittler ist schwierig: Dafür fehlen Kneissl auch die Voraussetzungen, u.a. eine Verstärkung der Expertise im Außenamt. Selbst für kleinste „gute Dienste“ – diplomatische oder humanitäre Maßnahmen von oft neutralen Dritten, um Konflikte zu bearbeiten oder deren Folgen zu lindern – fehlten im Außenamt in der Vergangenheit nicht selten die Mittel.
Auch abseits des Ministeriums am Minoritenplatz ist Österreich schwach aufgestellt: Zu wenige wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Kapazitäten können die Brücken befestigen und ein belastbares Netzwerk jenseits von Wirtschaftsinteressen bilden. Vermittlung auf gesellschaftlicher Ebene hat sich oft als sinnvoll herausgestellt. Neuere Außenpolitik-Instrumente wie Zivile Friedensdienste – staatlich geförderte und ausgebildete zivile Fachkräfte, die an der Bearbeitung eines Konfliktes mitwirken – sind in Österreich bislang nicht realisiert.
Auch die freiwillige bzw. projektgebundene Unterstützung der internationalen Organisationen, etwa der OSZE, der UNO oder des UNHCR durch Österreich ist ausbaubar und im Vergleich zu anderen Staaten teils stark unterfinanziert. Gute finanzielle Beiträge würden den Wunsch nach Dialogstiftung unterstreichen.
Das gilt auch für die Entwicklungszusammenarbeit (EZA): Österreich bleibt in der EZA, aber auch in der Katastrophenhilfe hinter den Ankündigungen zurück. Es gibt aktuell keine konkreten Schritte, die EZA wie angekündigt auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen (vgl. Seite 11).
Beim Vermitteln geht es zudem auch um die eigene Haltung, Stichwort Menschenrechte, Medienfreiheit oder die Einhaltung des Völkerrechts: Nur wer hier die Dinge beim Namen nennt und glaubwürdig ist, überzeugt und wird weniger leicht instrumentalisiert.
Diplomatischer Erfolg. Wer weiter nach Symbolen österreichischer Außenpolitik sucht, landet bald beim „Atomkraft? – Nein Danke!“-Icon.
In Fragen nuklearer Abrüstung nimmt Österreich eine von den meisten EU-Staaten unterscheidbare Position ein. Der im Juli 2017 von 122 Staaten angenommene Atomwaffenverbotsvertrag wurde von österreichischen DiplomatInnen erfolgreich mitentwickelt und zur Beschlussfassung gebracht.
Ohne viel Unterstützung aus der EU: Keiner der 22 EU-Staaten, die auch Mitglieder der NATO sind, hat den Vertrag begrüßt. Nicht zufällig haben die Neutralen und Paktungebundenen eine andere Haltung eingenommen.
Die österreichische Bundesregierung möchte dieses Engagement für eine atomwaffenfreie Welt konsequent fortsetzen.
Traditionell sind dabei zivilgesellschaftliche AkteurInnen – gemeinsam mit internationalen Organisationen – wichtige PartnerInnen: Das hat man beim Atomwaffenverbotsvertrag wie auch beim Verbot von Anti-Personen-Minen erkannt und umgesetzt.
Nukleare Abrüstung, Dialogstiftung, aktive Neutralität und Konfliktprävention – einige Überschriften des Regierungsprogrammes könnten sich auch in Flugblättern der Friedensbewegung finden.
Wie sich die Beziehung zur Zivilgesellschaft entwickelt, mit einer ÖVP-FPÖ-Regierung, die vielen NGOs gegenüber kritisch eingestellt ist, bleibt eine spannende Frage.
Erfreulich ist die Ankündigung der Ausarbeitung einer China-Strategie. Generell auffällig ist der unterschiedliche Blickwinkel zwischen dem Regierungsprogramm und den Grundsatzreden von Außenministerin Kneissl. Letztere berücksichtigt globale Umbrüche und Institutionen weit stärker in ihren strategischen Überlegungen und lässt innenpolitische Befindlichkeiten ein Stück zurücktreten.
Politik folgt Wirtschaft. Nicht fehlen darf auf dem symbolischen Kompass der österreichischen Außenpolitik das Dollar- bzw. Euro-Zeichen: Es geht bei Außenpolitik nicht zuletzt um Profit und Ressourcen. Botschaften werden dort aufgesperrt, wo es Wirtschaftsinteressen gibt.
Dass in Bezug auf Diplomatie nach Wirtschaftsinteressen hiesige Politikerinnen und Politiker weniger Kritik und Kontrolle fürchten müssen als anderswo, hat mit dem niedrigen Stellenwert der Außenpolitik in der österreichischen Gesellschaft zu tun: Die in der Bevölkerung etwas mangelhaft ausgeprägte Alphabetisierung in Außenpolitik- und EU-Fragen ist Basis dafür, dass man in der Politik fünf auch gern mal gerade sein lässt.
Zweifellos konnte allerdings die außenpolitische Sichtbarkeit in den vergangenen fünf Jahren massiv gesteigert und das Thema Außenpolitik insgesamt attraktiver gemacht werden: Neben erwähnten Erfolgen als Verhandlungsort und mit dem Atomwaffenverbotsvertrag hat das nicht zuletzt mit dem aktuellen Bundeskanzler zu tun: Sebastian Kurz konnte sich in der Funktion als Außenminister in der österreichischen Öffentlichkeit als internationaler Shooting Star präsentieren. Und als „Leader“ beim Thema Migration: Dass Kurz als Außenminister den Eindruck erweckte, er hätte mit aufgekrempelten Ärmeln eigenhändig die Balkanroute gesperrt, hat ihn ins Kanzleramt gebracht.
Die EU rüstet auf
Von wegen nur „Soft Power“: Global gesehen ist die EU ein wichtiger militärischer Player. Jetzt wird weiter aufgerüstet: Ende 2017 wurde die permanente strukturierte Militärzusammenarbeit (PESCO) beschlossen. Mittelfristig sollen die Rüstungsausgaben auf 20 Prozent der Verteidigungsausgaben erhöht werden.
Österreichs Militärbudget liegt derzeit deutlich unter dem EU-Durchschnitt.
Bundesheer-VertreterInnen hoffen auf mehr Geld unter der schwarzblauen Regierung. Im Rahmen der Regierungsverhandlungen Ende 2017 drängte die FPÖ auch darauf. Bisher wurden diese Erwartungen enttäuscht, 2018 wird es keine Aufstockung des Budgets geben. red
Konsequenterweise will er nun ein Europa, das „schützt“. Im Regierungsprogramm kommt das Wort „Sicherheit“ 172 Mal vor, im Abschnitt zu Europa und Außenpolitik geht es viel um Gefahr, Unheil und Bedrohung, weniger um Chancen und Gestaltung.
Aber war da nicht noch etwas? Genau, die Neutralität!
Die immerwährende Neutralität steht „für die Verpflichtung eines Staates, sich an keinem Krieg im Sinne des Völkerrechtes – wo, wann und zwischen wem immer er stattfinden mag – zu beteiligen“, so der Völkerrechtler Manfred Rotter. Der Status hält den Neutralen aber auch an, „bereits in Friedenszeiten darauf zu achten, dass er sich für den Neutralitätsfall ausreichend Freiraum für autonomes Gestalten seiner Neutralität bewahrt“.
Die schwarzblaue Regierung formulierte „ein klares Bekenntnis zu einer aktiven Neutralitätspolitik“. Die Frage ist, was darunter verstanden werden soll. Der vormalige SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil hat mit der „interessengeleiteten Neutralität“ neue Funktionen zu schaffen versucht: Neutralität als Instrument zum Schutz der Außengrenzen, Stabilisierungsmissionen in Herkunftsländern von Migration oder Militärhilfe und -intervention bei Terror.
Geschmeidig hat das neutrale Österreich EU-Rüstungsverpflichtungen, Erleichterungen von Rüstungsexporten und engere Kooperationen mit der NATO abgenickt. Auch EU-Militäreinsätze hat Österreich besonders aktiv unterstützt und sich für deren Weiterentwicklung engagiert.
Die Glaubwürdigkeit der Neutralität leidet jedenfalls ganz beträchtlich. Mit Blick auf die EU scherzte ein Friedensforscher bereits Ende der 1990er: Österreich sei längst in der NATO, aber keiner habe es bemerkt.
Militärisches „Kerneuropa“. Bei vielem waren die EU-Staaten in den vergangenen Jahren nicht im Gleichklang. In mehrerlei Hinsicht steht Europa vor einer Zerreißprobe: Außenpolitisch haben die EU-28 keine „gemeinsame Stimme“ bei wichtigen Fragen wie Palästina, wie man mit Syrien umgehen soll, wie weiter bei der Migration, Anerkennung des Kosovo, Sinn und Unsinn der Russland-Sanktionen oder Atomwaffen.
Doch die Marschrichtung der EU-Militärpolitik kann derzeit in weiten Teilen – europapolitisch wie innenpolitisch – als Konsens verstanden werden. Die Politik der USA unter Präsident Donald Trump und der Brexit haben als Katalysatoren gewirkt, die EU nimmt nun militärisch Fahrt auf: Ende 2017 wurde die permanente strukturierte Militärzusammenarbeit (PESCO) beschlossen.
Beim militärischen Kerneuropa geht es um eine regelmäßige reale Aufstockung der Verteidigungshaushalte zum Zweck von Auslandseinsätzen, die in der EU nur von den militärisch Fähigen und politisch Willigen durchgeführt werden.
Ein Instrument sind 17 Militär- und Rüstungsprojekte. Dieses Kerneuropa ist die militärische Überwindung einer uneinigen EU-Außenpolitik.
Und das neutrale Österreich ist mittendrin. Auch unter Bundeskanzler Christian Kern war das so, auch er nahm das Demokratiedefizit und die Aufrüstung hin.
Kanzler Kurz ließ wissen, dass PESCO „im Einklang mit der Neutralität“ stehe.
Kerneuropa führt nicht zur Überwindung, sondern zur Hierarchisierung der Nationalstaaten: Deutschland und Frankreich sind obenauf und bilden – mehr denn je – den rüstungspolitischen Kern der EU.
Schulden für Waffen. Flankiert wird das militärische Kerneuropa vom EU-Rüstungsfonds (European Defence Fund). Ziel der EU-Kommission ist es, „den Mitgliedstaaten zu helfen, das Geld der Steuerzahler effizienter auszugeben“, so die Kommission in einer Aussendung Mitte 2017. In Rüstungsforschung und Rüstungsentwicklung sollen jährlich bis 2020 etwa 2,5 Mrd. Euro fließen, ab 2020 etwa 5,5 Mrd. Euro.
Diese Mittel ersetzen keine nationalen Rüstungshaushalte. Die Gelder fließen u.a. in Drohnen, militärisch nutzbare Satelliten und Marine.
Das heißt: Während Staatsschulden zur Finanzierung von Bildung, Gesundheit und Sozialem verpönt sind, können EU-Mitgliedsstaaten Schulden zum Kauf von Waffen machen.
Öffentlich wurde der Plan im Sommer 2017, die Umsetzung erfolgt laufend. Klar sein muss einem, dass der Ruf nach „mehr Europa“ heute automatisch auch ein Ruf nach „mehr Militär“ und „mehr Rüstung“ bedeutet.
Europäischer und österreichischer Konsens ist auch, Sicherheitsapparate in teils autoritären Staaten Afrikas effizienter zu machen. Aus der alten Militärhilfe wird nun die Reform von Militär, Polizei oder Geheimdienst (Sicherheitssektorreform).
Subsidiarität. Die österreichische Regierung verfolgt das Ziel „weniger Europa“, dafür aber effizienter. Ein Minderheitenprogramm innerhalb der EU. In der Sicherheitspolitik erweisen sich die Unterschiedlichkeiten allerdings als Deckungsgleichheit. Kurz will in der Sicherheit mehr Europa und in anderen Bereichen mehr Selbstbestimmung. Auch Emmanuel Macron, Angela Merkel und Jean-Claude Juncker wollen mehr Muskeln für die EU.
Der Fokus der österreichischen Außenpolitik „Sicherheit“ und „Schutz“ ist natürlich kein Zufall: Auf der einen Seite sollen jene Wählerinnen und Wähler bedient werden, die im Herbst die Regierung wählten, u.a. mit dem Auftrag einer restriktiven Migrationspolitik.
Zudem sollen die Themen den Koalitionspartner FPÖ und die EU zusammenbringen. Außengrenzschutz, Stärkung von Frontex und Fortsetzung der personell militärisch dominierten Auslandseinsätze: Solche Maßnahmen erlauben auch FPÖ-PolitikerInnen, als europäisch Gesinnte aufzutreten.
Und die anderen 27 Mitgliedsstaaten können da aktuell sehr gut mit.
Nationaler Grenzschutz bleibt bestehen, „solange der europäische Außengrenzschutz nicht gesichert ist“, so Kurz und Strache. Die wehende Österreich-Fahne bestimmt die rot-weiß-rote Migrationspolitik und diese bestimmt die Sicherheitspolitik.
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